Freitag, 30. Juni 2017

Tir na nÓg Inn, St. Peter's Bay, PEI, 4. - 10. Juni



Ursprünglich war geplant gewesen, dass ich schon Samstag (3.6.) nach St. Peter’s Bay, meiner zweiten Station auf PEI, weiterreise. Da es auf PEI keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, hatten Dottie und Will, meine neuen Gastgeber angeboten mich abzuholen. Sie konnten aber Samstag nicht, weil sie einen Yardsale hatten. Also bin ich bis Sonntag in Bonshaw geblieben und konnte so auch noch einmal in die Baptistengemeinde gehen, was ich schön fand. Die Predigt war wirklich gut und ich habe zum Ende noch ein Lied von mir am (leider ziemlich verstimmten) Klavier gespielt. Wieder zurück habe ich dann gepackt, Mittag gegessen und meinen Eintrag ins Gästebuch geschrieben. Für eine Zeichnung reichte die Zeit diesmal leider nicht. Um kurz nach 13 Uhr kamen dann Dottie und Will, um mich abzuholen.


Zusammen sind wir zum International Children‘s Memorial Place in Summerside gefahren. Es ist eine Gedenkstätte für Eltern, die Kinder verloren haben, denen dort ein Baum mit Plakette gewidmet wird. Für Dotties Tochter (Wills Stieftochter), Meghan Alanna, steht dort eine Roteiche. Geboren im Dezember 1989 in Augsburg ist sie im Mai 2012 mit 22 Jahren auf dem Weg nach Hause tödlich mit dem Auto verunglückt. Nach der Zeremonie, die einmal jährlich stattfindet und in deren Rahmen die neuen Plaketten an die Eltern vergeben werden, besuchen wir ihren Baum. Die meisten Besucher sind recht gefasst, aber viele tragen auch Sonnenbrillen, obwohl es bewölkt ist und regnet. Es ist aufwühlend und ich fühle mich irgendwie fehl am Platz. Ich laufe auch noch an vielen anderen Bäumen vorbei. Sie stehen im Gedenken für Kinder, die im Alter von wenigen Stunden bis 50 Jahre gelebt haben. Egal wie alt das Kind ist, wenn es stirbt, für seine Eltern ist es ja das Kind. Hier wird mir zum ersten Mal bewusst, dass beim frühen Unfalltod meines Großvaters mit 31 nicht nur mein Vater seinen Vater und meine Oma ihren Mann, sondern auch meine Ur-Großeltern ihren Sohn verloren haben, nachdem sie alle den Krieg überlebt hatten. 

Skulptur am International Children's Memorial Place
Von Summerside aus fahren wir dann zum „Dunes“ Café und Laden/Galerie, wo wir zu Abend essen. Nach dem Essen fahren wir in Charlottetown einkaufen und ich darf aussuchen, was es so geben soll. Danach fahren wir nach St. Peter’s Bay, vorbei an der Stelle, an der Meghan vor 5 Jahren verunglückt ist. Dottie und Will haben noch einen gemeinsamen Sohn (18), den ich bei meiner Ankunft kennenlerne. Dottie und Will sind Amerikaner aus Maryland, haben aber durch Dotties Tätigkeit als Counter Intelligence Agent bei der Nato auch einige Jahre in Brüssel gelebt. Seit 11 Jahren betreiben sie nun das BnB in St. Peter’s Bay, das Tir na nÓg Inn http://www.tirnanoginn.com/homepageeng.htm. Der Name „Tir na nÓg“ kommt aus der irischen Sagenwelt und bedeutet „Land der ewigen Jugend“. Ich habe die dazugehörigen Legenden an meinem zweiten Tag dort gelesen. Dottie hat irische Wurzeln, Will’s Vorfahren wanderten im 18. Jahrhundert aus dem Saarland in die USA aus. Davon zeugt noch sein Nachname „Seibert“. Wir verbringen den Abend bei einem Glas Wein im Gespräch im Wohnzimmer. Dotties und Wills Zimmer liegen im hinteren Teil – dem Bedienstetentrakt – des um 1870 erbauten Hauses. Sie haben das Haus wundervoll historisch eingerichtet und zu meiner Überraschung und Freunde bin ich im Green Bedroom http://www.tirnanoginn.com/rooms.htm , einem der drei Gästezimmer untergebracht. Im Untergeschoss des Haupthauses http://www.tirnanoginn.com/mainhouse.htm  befinden sich Parlour, Library, Dining Room und Sundining Room.


Wenn Gäste da sind, bereitet Will ein Full Breakfast vor. Das ist an meinem ersten und meinem letzten Morgen der Fall. Montag ist es ein älterer Kanadier, der mit dem Fahrrad auf dem Confederation-Trail unterwegs ist, Samstag Chantale, eine 59-jährige Schweizerin (Lausanne), die inzwischen in Montréal wohnt. Sie ist ebenfalls mit dem Fahrrad auf dem Trail unterwegs, worüber sie einen Artikel schreibt, den sie mir zuschickt, wenn er fertig ist. Sie ist viel gereist und plant nächstes Jahr zu ihrem 60. Geburtstag 60 Tage mit ihrem afrikanischen Patenkind durch Äthiopien zu wandern, um damit für Patenschaften zu werben. Weil Gäste da sind komme ich in den Genuss von Blaubeerpfannkuchen und French Toast mit frischem Obst und Ahornsirup. Die restlichen Tage mache ich mir selber mein Frühstück – overnight oats mit Mandel, Kokos, Apfel und Banane. Zu Mittag macht sich jeder selbst was und abends essen wir zusammen, was Will für uns gekocht hat. Die Mahlzeiten werden im Sundining Room eingenommen. Wobei ich mich zum Mittagessen mit meinem Salat meistens allein nach draußen in die Sonne setze und das Geländer als Tisch nutze.

 


Meine Aufgabe ist das Jäten der Blumenbeete rund um’s BnB. Weil es Montag kalt war und regnete, bekam ich einen freien Tag, den ich lesend, am Klavier im Parlour und am Laptop verbracht habe. Dienstag bis Freitag saß ich dann immer vormittags 4 Stunden jätend in den Beeten., bzw. am Kiesweg, um ihn vom Löwenzahn zu befreien. Beim Löwenzahn ausreißen habe ich die ganze Zeit Tony’s Dandelion-Song im Kopf … Ich vergesse bei Letzterem meine Handschuhe wieder anzuziehen und habe nachher eine Blase in der Handfläche. Ich habe vom Jäten schon richtige Arbeiterhände. Der Dreck geht gar nicht mehr ab und sitzt unter den Nägeln fest. Am ersten Tag bemerkte Will ich sei „thorough“, gründlich. Na klar, wenn schon, dann richtig, da bleibt mir kein Unkraut übrig. Als er mich am Freitag trotz wieder einsetzendem Regen und Wind jätend auf dem Weg vorfand sagte er „This is dedication“ und machte dieses Foto von mir:


Ich mag es einfach nicht, Sachen unfertig liegen zu lassen. Und ich konnte danach ja die nassen Sachen ausziehen und warm duschen. 



Beim Jäten hat man viel Zeit nachzudenken. Und es gibt einiges, was man über Unkraut lernen kann, das auch metaphorisch übertragbar ist, wenn es um Negatives in unserem Leben geht, zum Beispiel schlechte Angewohnheiten:
-       - Es braucht ein gewisses Vorwissen. Man muss wissen, was Unkraut ist und was bleiben soll. Unkraut kann im Grunde alles sein, auch Pflanzen, die eigentlich kein Unkraut sind, aber am falschen Ort wachsen und/oder den Pflanzen, die eigentlich wachsen sollen, das nehmen, was sie zum Wachsen brauchen.
-       - Unkraut kann auch hübsch aussehen. Vielleicht ist es auf den ersten Blick gar nicht als Unkraut erkennbar und unterscheidet sich anfangs manchmal kaum von den „guten“ Pflanzen.
-       - Je früher man es entfernt, desto besser, denn je länger man wartet, desto schwerer wird es, weil die Wurzeln stärker werden und es irgendwann überwuchert.
-       - Unkraut wächst von selbst. Während die meisten Nutzpflanzen Aufmerksamkeit und Pflege bedürfen, ist Unkraut selbstständig und widerstandsfähig.
-       - Unkraut hat Wurzeln. Es ist wichtig die Pflanze mitsamt Wurzeln zu entfernen und nicht nur den sichtbaren Teil abzurupfen, denn wenn die Wurzel bleibt, kommt es wieder. Dazu muss man manchmal tief graben und die Wurzeln verfolgen. Die können weitläufig sein und anders liegen, als man vermutet. Manchmal sind sie vielleicht sogar mit den Wurzeln der Nutzpflanzen verflochten und man muss aufpassen diese nicht mit auszureißen.
-       - Beim Unkraut entfernen kann man sich weh tun.
-       - Jäten muss man regelmäßig, einmal reicht nicht. Das Unkraut kommt wieder. Aber wenn man gründlich ist, jedes Mal weniger.
-       - Jäten allein reicht nicht. Es ist zwar schön, wenn alles Unkraut weg ist, aber noch schöner ist es, wenn an seiner Stelle Gutes gepflanzt wird und wächst. Das geht, wenn der Boden entsprechend vorbereitet ist.

Neben dem Jäten kommt dann das Säen ins Spiel. Diese Metapher wird auch in der Bibel verwendet (z.B. Gleichnis vom Sämann). Für die meisten Menschen damals war das eine lebensnahe und verständliche Metapher. Aber heute ist das vielen fremd. Meine Gedanken zum Säen, nachdem ich es jetzt mal wieder mache (die metaphorische Übertragung überlasse ich euch):
-       - Auch Säen braucht ein gewisses Vorwissen.
-       - Säen hat seine Zeit. Zusätzlich zum richtigen Boden man auch die richtigen Bedingungen – man kann schon im Winter pflanzen, wird aber wahrscheinlich nichts, egal, wie viel Mühe man sich gibt.
-       - Das Wachsen geschieht dann im Prinzip von alleine. Manche Pflanzen wachsen schneller, andere langsamer. Bei manchen sieht man schnell Sprösslinge, bei anderen spät.
-       - Trotzdem braucht die Pflanze auch Aufmerksamkeit und Unterstützung beim Wachsen: Gießen, Unkraut und Schädlinge entfernen, düngen etc. Dann kann aus dem Samen eine Pflanze mit starken Wurzeln und guten Früchten werden.
-      Letztendlich liegt der Erfolg der Saat und die Ernte aber nicht vollkommen in der Hand des Gärtners oder Bauern. Er bleibt vor allem auf das richtige Wetter angewiesen. Er ist Arbeiter auf dem Feld, aber wie die Ernte ausfällt liegt in Gottes Hand und ihm gebührt der Erntedank.

Nachmittags und abends hatte ich entsprechend frei. Im Haus habe ich die Zeit in meinem Zimmer, am Laptop der am Klavier verbracht. Montagabend habe ich, als es aufgeklart hatte noch spontan einen kleinen Fotospaziergang beim Sonnenuntergang in der Bucht gemacht. Pfingstmontag ist hier übrigens kein Feiertag. Christi Himmelfahrt und Fronleichnam auch nicht. 


  
Als ich so am Strand langlief, blitzte plötzlich kurz etwas im Sand auf – eine Miesmuschelschale, bei der die Brandung an einer Stelle die raue, blaue äußere Schicht abgeschmirgelt hat, sodass das Perlmutt durchschimmerte. Am oberen Rand war ein Stück herausgebrochen. Ich habe sie als Souvenir mitgenommen. An sich ist sie nichts Besonderes – Miesmuschelschalen liegen hier zuhauf am Strand rum. Aber für mich war diese eine kleine Muschel in diesem Moment etwas Besonderes. Und als ich sie so betrachtete erschien sie mir wie ein Gleichnis für uns Menschen. Robust und doch zerbrechlich, manchmal schon etwas zerbrochen mit rauer Schale. Eigentlich schon ganz hübsch anzusehen mit der schwarzblauen Schale. Man könnte es dabei belassen, aber dann würde man etwas verpassen. Mit der Zeit, durch Sand und Gezeiten geschliffen kommt nämlich erst die wahre Schönheit hervor, ein Leuchten und Schimmern, ein Widerspiegeln des wahren Lichtes. Und wenn man sie umdreht, dann sieht man, dass sie im Inneren schon immer geglänzt hat. Aber das merkt man erst, wenn man sich Zeit nimmt und genau hinsieht. Ich habe dann noch nach einer ganz blauen und einer ganz perlmuttenen Muschel gesucht, aber keine gefunden, was eigentlich passend ist. Irgendwo schimmert immer schon die Schönheit durch, wenn auch nur ganz kurz oder schwach. Und ganz perfekt und schimmernd werden wir (hier auf der Erde) nicht. 

Dienstagabend bin ich auch wieder in der Bucht spazieren gegangen. Hauptziel war der Ice cream-Laden am St. Peter’s Landing, aber danach bin ich noch weiter am Strand langgelaufen, weil es so schön war. Ich saß eine ganze Weile einfach nur auf einem Felsen in der Sonne und habe die Aussicht auf die Bucht genossen und dann noch ein wenig gelesen. Auf dem Rückweg habe ich dann noch einen Abstecher zur katholischen Kirche gemacht, die offen war, sodass ich im leeren Kirchenschiff ein paar Lieder aus dem Gesangbuch singen konnte. Zurück im BnB gab es Dinner, dass ich zusammen mit Will und Dottie vor dem Fernseher gegessen habe. Wir haben „Big Eyes“ geschaut.




Für Mittwochnachmittag hatte ich mich mit Emma, die ich von den zwei Tanzabenden letzte Woche kannte, verabredet. Sie hatte vorgeschlagen, dass wir zusammen zum Greenwich National Park fahren könnten. Emma kam mit dem Auto aus Charlottetown und hat mich abgeholt. Wir sind dann etwa 2 Stunden durch den wirklich schönen Park gewandert. Durch Wald und Wiesen, über eine schwimmende Brücke und am Strand entlang. Dabei haben wir uns sehr gut unterhalten. Zum Abschluss hatte ich Eis am St. Peter’s Landing vorgeschlagen, was wir auch gemacht haben. Das Wetter war großartig sonnig. Der Wind war zwar noch kühl, aber warm genug, um im T-Shirt zu laufen.










Donnerstagabend bin ich mit Dottie und Will nach Charlottetown gefahren. Während Dottie beim Gesangsunterricht war, sind Will und ich einkaufen gefahren. Ich musste für die kommende Woche einkaufen, weil meine Gastgeber nicht da sein würden. Ich hatte 50$ eingesteckt und mit 30$ gerechnet. Während ich anfing meinen Einkaufswagen mit allem zu füllen, was ich für die Woche brauchen würde, wurde ich schnell skeptisch, ob mein Geld überhaupt reichen würde. Ich habe dann Will gefragt, ob er mir die Differenz leihen kann. Im Endeffekt kostete mich mein Einkauf 58$. Irre, wie teuer das hier ist – vor allem Obst und Gemüse. Danach sind wir zurück ins Zentrum gefahren, wo wir im Auto Sushi gegessen haben und dann zusammen mit Dottie ins Cedar’s gegangen sind, wo ein Jazzkonzert mit anschließender JamSession stattfand. Will spielt Saxophon. Ich habe ein lokales Blaubeerbier probiert (roch leicht nach Blaubeeren und schmeckte ganz gut) und wir haben einen Hummus-Taboulé-Teller mit Brot geteilt. Etwas später kam noch Yohan, ein Bretone und ehemaliger Kollege von Dottie, dazu.

Freitagnachmittag war relativ unspektakulär: Klavier spielen, Fotos hochladen, Blogpost anfangen, heute show und extra3 schauen. Abendessen und anschließendes Geplauder mit Dottie, Will und Brendan. Wenn ich Klavier spiele, spiele ich Lobpreis aus meinem "Feiert Jesus to Camp" und zwei Lieder aus dem irischen Songbook hier "Foggy Dew" und "Óró, Sé Do Bheatha 'Bhaile".

Samstag ging es dann auch schon weiter zu meiner letzte Station auf PEI. Es war eine sehr schöne und entspannte Woche mit Dottie und Will im Tir na nÓg Inn und ich hätte definitiv länger bleiben können :)
Dottie und Will

Sonntag, 18. Juni 2017

Magic Springs Homestead, Bonshaw, PEI, 27. Mai - 4. Juni

Ich hänge mal wieder Wochen hinterher. Inzwischen bin ich schon bei meinen fünften Hosts, in West Gore, Nova Scotia, und der erste Monat in Kanada und damit das erste Drittel vom Wwoofing liegt hinter mir (das wird hier übrigens meistens mit kurzem u ausgesprochen [wuffing/wuffer] und klingt damit wie ein Bellen). Jetzt also ein Sprung zwei Wochen zurück:

Oh je, ich komme jetzt schon langsam durcheinander, dabei bin ich gerade erst bei den dritten Hosts in St. Peter’s Bay und habe entsprechend ¼ meiner Stationen besucht. Während gerade draußen der Sturm tobt, nachdem gestern ein wundervoll warmer und sonniger Sommertag war, ist es Zeit auf meine Zeit in Bonshaw, PEI zurückzublicken.

PEI [pi:i:ei], so nennen alle (anglophonen) Islander Prince Edward Island / Île Prince Édouard (hier ist ja alles zweisprachig). Ist ja auch ein sperriger Name. Insgesamt bin ich ich für 3 Wochen an 3 Orten auf der Insel. Die erste davon war Bonshaw, ziemlich mittig gelegen, im Süden der Insel am Transcanada Highway 1. 

Am Samstag, den 27. Mai, hat mich Janet morgens nach Sussex zur Irving Tankstelle gefahren, von wo um 8.10 Uhr mein erster Maritime Bus abfuhr. Ursprünglich hatte ich ja mal vorgehabt zu trampen, um Geld zu sparen, aber um das zu vermeiden hat sich meine Mutter in unserem ersten Google-Hangout als Sponsor für öffentliche Verkehrsmittel angeboten. Worüber ich jetzt ganz froh bin (danke, Mama :) ), denn das Wetter ist ziemlich ungemütlich a.k.a. uselig: windig, nieselig, grau und kalt. Janet fährt weiter zum Yard Sale ihrer Gemeinde für ihre Missionsreise nach Guatemala im August. Sie schreibt mir später auf Nachfrage, es sei so kalt gewesen, dass sie sich alle in Decken gewickelt und Wollmützen angezogen haben. Und der Pastor habe Weihnachtsmusik gespielt.

Der erste Busfahrer ist sehr gut gelaunt und scherzt munter mit den Fahrgästen – es sind nicht viele. Nächste Haltestelle Moncton, NB, eine Stunde später, wo ich direkt in den nächsten Bus nach Amherst, NB, umsteigen kann. Dieser Busfahrer ist eher schlecht gelaunt, wobei er natürlich im Vergleich zum gut gelaunten auch nochmal schlechter abschneidet. Nach einer weiteren knappen Stunde Fahrt steige ich in Amherst in den Bus nach Charlottetown, der Hauptstadt von PEI, wo mich Marion und Tony, meine Gastgeber in Bonshaw, erwarten sollen. Die Fahrt dauert noch einmal 2 Stunden, Ankunft 12:25 Uhr. Aufgrund des Wetters ist die Aussicht leider nicht so toll. Auf die Insel gelangt man heute über die 12,9km lange und dieses Jahr 20 Jahre alte Confederation Bridge, die PEI mit dem Festland, New Brunswick verbindet. Außer, wenn es stürmt und sie geschlossen werden muss. Vor Fertigstellung der Brücke waren zwei Fähren auf dieser Strecke die einzige Verbindung zum Festland. Im Osten der Insel gibt es bis heute nur eine Fährverbindung. Der Bau der Brücke war damals wohl ziemlich umstritten und wurde auch nur von 59,4% der Bevölkerung von PEI befürwortet. Sowohl Brücke als auch Fähre sind mit 46,50$ bzw. 72,00$ für einen PKW nicht gerade günstig.

In Charlottetown wurde ich an der Bushaltestelle von Tony erwartet, der mich zur Begrüßung direkt in die Arme schloss. Was dann folgte war nur einer von vielen ereignis- und erlebnisreichen Tagen mit Marion und Tony. 


Sie leben den Unruhestand in Vollendung. Zuerst fuhren wir zum Agricultural Centre, wo der Herb Day stattfand, in dessen Rahmen Marion gerade eine Führung machte. Von da aus sind Tony und ich zum Farmer’s Market gelaufen, um einige Dinge einzukaufen und zu Mittag zu essen – afrikanisch. Die Auswahl war wirklich groß. Tony wurde an jeder Ecke gegrüßt. Dann ging es zurück über den Confederation Trail, die ehemalige Bahnstrecke, zum Agricultural Centre, wo ich kurz Zeit hatte mich umzuschauen, bevor wir zu „Wild Child“ gefahren sind, einem Outdoor-Education-Programm für Kinder, bei dem sie Zeit im Wald verbringen und dort etwas über die Natur lernen. Von da aus ging es weiter in die Stadt zur Galerie im „The Guild“-Gebäude gefahren, wo gerade einige von Marions Bildern ausgestellt sind. Es war auch kurz Zeit für ein Touri-Foto.
Wild children
Starflower

Unser nächster Programmpunkt war dann die Chorprobe des Charlottetown Legion Choirs, in dem Marion und Tony singen und die ihre letzte Probe vor ihrem Konzert „May Melodies“ mit Liedern aus den verschiedenen Provinzen Kanadas hatten, das ich sowohl Sonntag in Charlottetown als auch Dienstag in Stratford angehört habe. Ich vermute, dass das Kanada-Thema anlässlich des 150. Landesgeburtstages dieses Jahr gewählt wurde. Bevor die Probe, die in einem Seniorenheim stattfindet, anfing, haben Tony und ich noch die Gitarren ausgepackt und aus seinem Liederbuch gesungen. Nach der Probe ging es dann weiter zu Freunden von Marion und Tony in Rustico, wo ein irischer Tanzabend stattfand. Dazu gab es ein Büffet – potluck – mein erstes von 4 in dieser Woche. Ich durfte auch mittanzen und hatte viel Spaß (meine Tanzkünste wurden gelobt). Wenn ich nicht getanzt habe, habe ich mit den anderen Anwesenden unterhalten und dabei unter anderem Emma kennengelernt, eine von zwei Mädels in meinem Alter. Zum Sonnenuntergang sind wir als Sechsergruppe runter zum Strand gelaufen, wobei ich mich die meiste Zeit mit Trish unterhalten habe, einer Meeresgeologin. Als wir zurückkommen gibt es Nachtisch und dann spiele ich noch ein paar meiner Lieder, die gut ankommen. Etwa gegen 23 Uhr machen wir uns dann auf den Weg nach Hause. Ich schlafe auf der Fahrt fast ein und gehe auch sofort auf mein Zimmer.


Mein Zimmer ist ganz klein und schnuckelig (ca. 2,5x2,5m), in einer Ecke des Hauses mit einer Klapptür. Es gibt ein normales Bett, 2 Regale und einen kleines Schulpult als Schreibtisch mit Stuhl, dass Marions Mutter gehört hat. 
 

Das Haus haben Marion und Tony selber entworfen und gebaut. Kennengelernt haben sie sich bei einem Kettensägenkurs, den Marion mit Ende 20 besucht hat, weil sie auf ihrem Grundstück ihr Haus bauen wollte. Zuerst hat Tony beim Holz zuschneiden geholfen und dann kam eins zum anderen, wie man so sagt, sodass sie dann schließlich zusammen eingezogen sind. Sie haben zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Das Haus ist hauptsächlich aus Holz und so konstruiert, dass man unten rundherum laufen kann, mit dem Holzofen im Zentrum. Überall stehen Bücher und Musikinstrumente, ich fühle mich sofort wohl. Die Wasserversorgung läuft über ihre eigene Quelle, erhitzt wird das Wasser mit dem Holzofen. Eine Dusche gibt es nur im Sommer, wenn die Solarzellen arbeiten. Ansonsten wird oben im Haus geduschbadet. Am ersten Tag wohnt noch der time-share-Kater Gherkin mit im Haus, der bei Marion und Tony überwintert, wenn seine Sommerbesitzer in Kalifornien und Mexiko sind. Das Grundstück ist durchweg abschüssig und umfasst ein Stück Wald sowie einen kleinen Acker etwa 10 Minuten den Berg rauf. Wahrscheinlich gewöhnt man sich daran, aber anfangs finde ich es schon anstrengend, dass man für alles immer Steigung überwinden muss. Der Garten ist entsprechend terrassenartig angelegt. Zum Futterhäuschen am Küchenfenster kommen Bluejays, yellow und purple finch. Außerdem sehe ich Kolibris und Streifenhörnchen.

 

Meine Aufgaben sind: Zwei kleine Ackerflächen von Unkraut befreien. Nägel aus Brettern ziehen, damit sie im Ofen verbrannt werden können. Vorgeschnittene Holzblöcke mit einer Maschine (wood splitter) spalten. Marion helfen die Mauer, die im Winter vom Schneepflug beschädigt wurde, auseinanderzunehmen, damit sie sie wieder aufbauen kann. Salat, Petersilie und Sellerie pflanzen und Möhren säen. Zwei Löcher graben, in die die Füße für den neuen Unterstand kommen. Holz von einem Unterstand in den anderen, neu gebauten umstapeln. Einen Busch beschneiden. Einem Apfelbaum zwei Äste absägen, einmal mit normaler Säge, einmal mit der Kettensäge. Geschirr spülen. Was ich daraus gelernt habe: Feuerholz machen ist ziemlich anstrengend und aufwendig. Baumstämme heranschaffen und teilen. Weiterspalten. Trocknen lassen. Draußen stapeln. Umstapeln. Reinholen. Stapeln. Verbrennen. Mit dem richtigen Werkzeug und der richtigen Technik lassen sich Probleme (zum Beispiel Nägel in Brettern) gut lösen. Ich kann auch Arbeiten erledigen, bei denen ich eigentlich gern sagen würde „Das kann ich nicht, das ist zu schwer“. Baumstämme schleppen zum Beispiel. Die Arbeitszeiten sind etwas weniger klar geregelt als auf der ersten Farm und auf den Vor- und Nachmittag verteilt. Das Wetter war größtenteils schön und teilweise so warm, dass man im T-Shirt arbeiten konnte, wären da nicht die Blackflies und Mücken. Ich war nach der Woche ganz schön zerstochen und zerbissen...

Blackfly-Bisse - so ähnlich sahen in der DR meine Beine aus

Die Mahlzeiten werden alle gemeinsam eingenommen, zubereitet werden sie meistens von Marion. Morgens gibt es wie bei mir Oatmeal mit Rosinen und Äpfeln, allerdings mit ganzen Haferkörnern statt Flocken. Dazu gibt es noch selbstgemachtes Müsli. Mittags gibt es oft Brot, Gemüse und Suppe (meistens ein Eintopf aus Überbleibseln). Oder Grilled Cheese Sandwich. Anders als bei uns zuhause  wird hier nämlich nicht versucht Reste, die keine Mahlzeit für mindestens eine Person ergeben, noch an den Mann und die Frau zu bringen. Hier werden auch kleine Reste übriggelassen und weiterverwendet. Abends gibt es dann die Hauptmahlzeit, zum Beispiel Quiche, Piroggi oder Mangold-Auflauf. Dazu gibt es frischen grünen Spargel aus dem Garten und Fiddleheads, eine hiesige Delikatesse. Fiddleheads, die ihren Namen wegen der Ähnlichkeit zum oberen Teil der Geige tragen, sind die jungen, noch nicht entrollten Sprossen des Austern-Farns. Einmal bin ich auch abends mit pflücken gegangen. 


Das „Tischgebet“ vor dem Essen wird immer von Tony gesprochen: „Thank you for the food, may the meal be blessed. Bon appetit.“ Gekocht wird auf dem Holzofen oder in Elektrotöpfen, die man einstecken kann. Im Sommer, wenn der Ofen dann nicht mehr angemacht wird, kochen sie mit Campinggaskochern. Gegessen wird zum Frühstück drinnen und ab 15°C Außentemperatur auf der Terrasse. 


Einmal fahren wir auch zum Abendessen nach Victoria und essen dort am Hafen an den Picknicktischen. 

Außerdem gibt es 4x Potlucks (Bring-and-Share-Büffets). Das gehört wohl zu jedem richtigen PEI-Event: There’s no island event without food and a 50-50 [fifty-fifty]. Das ist ein Gewinnspiel, bei dem am Eingang Lose für z.B. 1$ verkauft werden. Es wird dann ein Gewinner ausgelost, der die Hälfte der Einnahmen erhält. Die andere Hälfte geht an einen vorher bestimmten karitativen Zweck.

Wie schon erwähnt, sind Marion und Tony sehr aktiv. Dementsprechend ereignisreich war dann auch meine Freizeit in dieser Woche. Sonntag war Tony mit mir um 10 Uhr im Gottesdienst der kleinen örtlichen Baptistengemeinde, wo ich sehr herzlich willkommen geheißen wurde. Nachmittags war dann das Ceilidh [Käi:li], wo ich neben 6 anderen Musikern - u.a. auch Tony mit seinem "Dandelion Song" - aufgetreten bin und 3 meiner Songs gespielt habe, die gut ankamen. Ein Song, den ich hier immer spiele, wenn ich was vorspielen soll, ist "Live by the Sea" - irgendwie ist das ein Insellied.


Abends war dann das erste der zwei Konzerte „Sing Canada: May Melodies“ des Charlottetown Legion Choirs in einer Kirche in Charlottetown mit anschließendem Potluck. Das Repertoire waren Lieder aus den verschiedenen kanadischen Provinzen. Einer meiner Favourites war ein Lied aus Nunavut. Als letztes wurde Tonys  "Island Friends" gesungen. Das zweite Konzert war Dienstagabend in Stratford. Hier habe ich von Janelle, einer jungen Mitsängerin, die aus der Nähe von Whycocomagh, CB, kommt, den Kontakt einer ihrer Freundinnen auf Cape Breton bekommen, mit der ich mich dann mal treffen kann. 

Montagabend gehen wir Fiddleheads pflücken und Clams (Muscheln) ausgraben. Ich grabe auch eine aus, verbuddel sie danach aber wieder. Die von Marion und Tony werden später gekocht. Es weht ein eisiger Wind und als wir zurücklaufen kann ich meine Finger kaum noch spüren. Hier nehme ich zum ersten Mal bewusst die rostrote Farbe des eisenhaltigen Bodens war. Rote Äcker, rote Strände, rote Straßen - das ist charakteristisch für PEI. Nachmittags waren Marion und Tony noch bei einer chinesischen Migrantenfamilie, der sie Englisch beibringen. Das war mir aber zu viel. Ich bin zuhause geblieben, habe ein paar Kleidungsstücke geflickt, Klavier gespielt und angefangen „Anne of Green Gables“ zu lesen. Ein Kinderbuchklassiker, der auf PEI spielt, den ich aber noch nie gelesen und auch die Filme noch nie gesehen habe. Anne ist tatsächlich eine der Hauptattraktionen der Insel. Vor japanische Touristen kommen wohl nach PEI, um sich das Haus der Romanfigur anzusehen. Es ist wirklich ein gutes Buch mit einer besonderen Protagonistin. Und ich finde es besonders schön, dass ich es mir jetzt alles genau vorstellen kann, weil ich die Landschaften kenne - auch wenn ich nicht in Avonlea und bei Green Gables war.


 

Mittwoch- und Samstagmorgen waren wir Kanu fahren, einmal eine Stunde erst flussabwärts, dann zurück und beim zweiten Mal erst flussaufwärts und dann zurück. Wie nach früherer Kanuerfahrung erwartet, tun meine Arme nach 5 Paddelschlägen weh. Aber es wird besser, wenn man einfach weitermacht. Mittwochabend hatte ich „frei“, also Zeit zum Nachrichten beantworten, Blog schreiben, Fotos hochladen, Klavier spielen und lesen. 








Donnerstagabend bin ich nochmal zum Feld hochgelaufen – ich habe, glaube ich, noch nirgendwo solche Löwenzahnfelder gesehen wie hier. Und dann bin ich bis zum Sonnenuntergang auf dem Bonshaw-Trail, der über Marion und Tony’s Grundstück verläuft, gewandert. Am Wegesrand stehen Trilions, die Provinzblume von Ontario. Die Provinzblume von PEI sind Lady Slippers. Angst vor Bären muss man hier zum Glück nicht haben, die größten Tiere auf PEI sind Füchse und Koyoten. Als ich wieder zurück bin spielen wir noch Bananagram (ähnlich wie Scrabble). 


Freitagnachmittag sind wir nach Charlottetown gefahren, wo ich zuerst mit Tony in Brigh, einem Musik- und Teeladen war. Danach hatte ich 30 Minuten Zeit mir die Stadt anzuschauen. Zuerst wollte ich mir eine neue SD-Karte für die Kamera kaufen, aber die wollten in dem Laden 60$ für 32GB … Ich war dann in der, St. Dunstan Cathedral und habe mir bei „Cows“ (PEI’s Best Ice Cream) ein Eis gegönnt. Das ist einer der Vorteile am Erwachsensein: man kann einfach kurz vor dem Abendessen Eis essen. 









Besagtes Abendessen nahmen Tony und ich bei „Spendid Essence“ ein, einem vegetarischen chinesischen Restaurant. Sehr lecker. Danach holen wir Marion ab und fahren zum Scottish Dancing im Carriage House des Beaconsfield Historic House in Charlottetown. Viele der Tänze waren auch für Anfänger tanzbar und ich hatte viel Spaß. Zwischendurch habe ich mich mit den anderen Gästen unterhalten. Am Ende unter anderem mit Sterling Schnatz (wie der Ball beim Quidditch), einer Amerikanerin, die aber auch lange in Europa gelebt und gearbeitet hat. Ich freue mich, dass ich auch mal so interessante Geschichten erzählen können werde.

Sweet & Sour "Chicken"
Scottish Dancing mit Marion


Samstagabend essen wir erst in Victoria, einem Fischerdorf, in dem auch "the biggest tree on PEI" steht, zu Abend und fahren dann zu einer weiteren Tanzveranstaltung in der Barnone, wo auch Craftbeer verkauft wird. 


Hier treffe ich schon Bekannte vom Tanzen letzten Samstag. Unter anderem auch Emma, mit der ich mich ja letzte Woche schon unterhalten hatte.
  

Auf dem Weg hatte es geregnet. Zum Glück verfährt sich Tony erstmal, sodass ich diese Fotos machen kann:

Als wir wieder zuhause sind, singen wir nochmal zusammen Lieder aus Tonys Liederbüchern, v.a. Beatles und andere mir bekannte Klassiker, aber auch „Die Gedanken sind frei“.


Ich war wirklich genau zur richtigen Zeit in Bonshaw, viele der Veranstaltungen, zu denen ich so mitgehen konnte, waren Veranstaltungen, die nur selten bzw. teilweise nur einmal im Jahr stattfinden. Wäre es nach meinem ursprünglichen Plan gegangen, wäre ich zu dieser Zeit nicht auf PEI gewesen. Aber durch verschiedene Umstände habe ich umgeplant, was sich als perfekt herausgestellt hat. Gott hat eine großartige Reise für mich vorbereitet :)