Um 20:55 Uhr
bin ich also an der Irving-Tankstelle in Sussex angekommen. Nach 10 Minuten, in
denen ich schon angefangen hatte zu frieren, kam dann ein Hyundai angefahren,
um mich abzuholen. Eine Frau mit langen, grauen, zu einem Zopf geflochtenen
Haaren und Brille stieg aus. Janet. Auf dem Weg zurück hielten wir noch an der
Post und am Supermarkt. Janet sagte dann, sie habe ja geschrieben, dass sie 4
Hunde und 6 Katzen haben. Am besten würde sie mich nachher gleich einem Hund
nach dem anderen vorstellen. Irgendwie hatte ich das mit den vielen Tieren
verdrängt … Zeit für mich zu gestehen, dass ich Vegetarierin bin. In ihrem
Profil hatten sie nämlich bei „Food“ nur „non-vegetarian“ angegeben. Ich hatte
sie trotzdem angeschrieben, weil sie als einzige in ihrem Profil stehen hatten,
dass sie Christen sind. Dass ich Milchprodukte und Eier esse beruhigt sie. Von
vegan sage ich hier lieber nichts ;)
Es ist schon dunkel, als wir nach ca. 25
Minuten Fahrt auf dem Hof ankommen. Wir werden mit lautem Gebell begrüßt und
ich höre die Hunde rennen und an der Tür kratzen. Oh je. Die Hunde stellen sich
dann aber alle als sehr lieb heraus. Es sind zwei Rottweiler, Ben und Baba, ein
schwarz-weißer Bordercollie, Luke, und ich glaube ein Schäferhund-Collie-Mix, Sam.
Ben und Baba interessieren sich meistens nicht für mich, außer, wenn es Essen
gibt, aber Luke kommt sofort zu mir und will gestreichelt werden.
Mein Freund, Luke |
Das gewöhnt
er sich auch für den Rest meines Aufenthaltes an. Sam kommt erst ab dem 3. Tag.
Nachdem ich meine Sachen in mein Zimmer gebracht habe, das im ersten Stock
direkt über der Küche liegt und durch einen komischen kleinen Lüftungsschacht
mit Propeller mit ihr verbunden ist, unterhalte ich mich noch länger mit Janet
in der Küche. Derek sehe ich am ersten Abend nicht, erst im Laufe des zweiten
Tages. Derek, Jahrgang 1957, wie meinte Mutter, war bei der kanadischen Armee
und ist jetzt in Rente. Er kümmert sich vor allem um die Tiere und die
handwerklichen Tätigkeiten rund um den Hof. Außerdem kocht er meistens. Dazu
steht er früh auf und geht auch normalerweise früh zu Bett. Janet, Jahrgang
1954, wie mein Vater, arbeitet noch in Teilzeit als Krankenschwester in Sussex.
Sie kümmert sich um ihre Bienen und Hühner, mit allem, was so dazugehört.
Außerdem hat sie noch ihren Garten, macht Wein und strickt gerne. Sie ist wie
ich eine Eule und steht lieber später auf und bleibt entsprechend länger wach.
Was mir gut passt, denn so kann ich zwischen 8.30 und 10 Uhr aufstehen und
frühstücken. Janet ist mit Derek in 4. Ehe verheiratet und hat 6 erwachsene
Kinder zwischen Mitte 20 und Anfang 30 aus 2. Ehe. Sie haben beide Pilotenscheine für Kleinflugzeuge und
fahren Motorrad. Mehr als genug Interessen und Aufgaben für einen gepflegten
Unruhestand. Die Farm haben sie seit mehr als 10 Jahren. Janet kommt
ursprünglich aus Ontario, Nähe Toronto, Derek aus New Brunswick. Sie streben
weitestgehende Selbstversorgung an. Die Wasserversorgung läuft über ihre eigene Quelle. Sie haben Kühe, Hühner, Bienen und im
Sommer Schweine. Die meisten Tiere werden im Herbst geschlachtet. Ich habe mich
mit beiden unterhalten und interessanterweise haben sie beide gesagt, dass sie
das eigentlich hassen. Derek „I love farming, but I hate the killing.“ Da haben
wir ja was gemeinsam. Nur, dass ich als Konsequenz daraus seit 15 Jahren kein
Fleisch mehr esse. Darauf könnte Derek laut seiner Aussage aber nicht
verzichten. Janet schon eher. Zu mir meinte sie, dass sie sich durchaus
vorstellen könnte auch vegetarisch zu leben. Nach ein paar Tagen gräbt sie auch
ein paar alte vegetarische Rezepte aus einer Zeitung von 1976 aus und macht
Pillaw mit Reis, Rosinen und Mandeln, Bohnensalat und Pilz-Tomatensalat. Alles
richtig lecker. Ansonsten gab es meistens abends Kartoffeln, irgendwas mit Ei
(Omelette) und gedünstetes Gemüse + Fleisch für die beiden. Gegessen wurde oft
eher spät. Auch das Mittagessen war eher spät, nachdem die Arbeit am Vormittag
erledigt war, was häufig erst so gegen 15 Uhr der Fall war, weil wiön.r auch
eher spät, so gegen 11 Uhr, angefangen haben. Da gab es dann oft einfach Janets
selbstgebackenes Brot mit Cranberries und dazu Käse. Sobald ich mich ein
bisschen heimisch gefühlt habe, hab ich angefangen, mir dazu noch irgendwelches
Obst oder Gemüse zu suchen. So habe ich irgendwann am zweiten Tag erfahren,
dass es auch Äpfel gibt, woraufhin davon dann jeden Morgen einer in meinem
Müsli gelandet ist. Leider waren alle Cereals mit Zucker, die größtmögliche
Vermeidung von Zucker konnte ich also auch nicht durchhalten. Gegen Ende meines
Aufenthaltes hat Derek mir dann gesagt, dass er eigentlich keine
Vegetarier-Wwoofer wollte. Vor allem, weil er meinte, er könnte ihnen keine
angemessene Verpflegung bieten. Aber nachdem ich da war, hat er seine Meinung
in der Hinsicht und auch über Vegetarier geändert. Find ich schön.
Blick aus meinem Fenster |
Blick auf das Wohnhaus |
Nun zur
Arbeit, denn dafür bin ich ja eigentlich da. Gearbeitet habe ich Samstag und
Montag-Freitag, immer vormittags ca. 4 Stunden, die mir meistens ziemlich
schnell vergangen sind. Zweimal habe ich auch nochmal abends beim Transport der
Bienen mitgeholfen. Mit denen hatte auch meine erste Aufgabe zu tun: Bienenstöcke,
die Janet inspiziert und vorbereitet hatte, mit Brettern verbinden und damit
transportfertig machen. Einen Imkeranzug habe ich geliehen bekommen und fühlte
mich darin unverwundbar, bis ich Ende des ersten Tages hörte, dass Janet und
Derek trotzdem schon oft gestochen wurden. Ich bin zum Glück trotzdem verschont
geblieben. Das Verschrauben ist bisher tatsächlich die einzige Tätigkeit
gewesen, von der ich Muskelkater bekommen habe, weil ich die ganze Zeit in der
Hocke an den Stöcken saß und von da wieder aufgestanden bin. Ein nettes kleines
Workout also. Am Mittwoch haben wir dann einige Bienenstöcke zu einem
befreundeten Blaubeer-Farmer, Mike, Renter, gebracht. Er erzählte, dass sie
durch Subventionen der Regierung für neue Farmen leider in einer Krise wären
und keine guten Preise erzielen könnten. Er würde wahrscheinlich Verlust machen
und umsonst arbeiten. Andere Farmer hätten ihre Blaubeeren abgemäht, weil es
sich nicht lohnt.
Anna im Imkeranzug im Blaubeerfeld |
Bienenstöcke im Blaubeerfeld |
Montag und Dienstag habe ich mit Derek am neuen
Stacheldrahtzaun gearbeitet. Sie erweitern gerade die eine Weide, auf die dann
die Kühe kommen und die Pferde, die bisher dort standen, kommen auf die andere
Seite der Zufahrt. Die Pfähle standen schon, sodass meine Aufgabe darin
bestand, zusammen mit Derek den Stacheldraht auszurollen und in 4 Bahnen an die
Pfähle zu spannen und festzunageln. Zum Glück habe ich von meinem Vater eine
solide kleine Grundausbildung in Werkzeughandhabung bekommen und habe mich
entsprechend geschickt mit Akkuschrauber und Hammer angestellt. Einzig nervig waren die Black flies, die auftauchen, sobald es etwas wärmer wird. Aber mit der richtigen Kleidung geht auch das. Vom Zaun habe ich leider auch kein Foto gemacht.
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Blackfly-Schutz |
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Blackfly-Schutz |
Mittwoch waren
wir ja die Bienen ausliefern. Donnerstag und Freitag habe ich dann 100 Rahmen
für Honig mit Ösen und Draht versehen und dabei ferngesehen und Radio gehört.
Ab und zu hab ich auch den Abwasch übernommen. Außerdem habe ich Freitagnachmittag Janet noch geholfen die 66 Küken, die sie abgeholt hatte, in den Stall zu bringen. Jedes musste einzeln aus dem Karton genommen und mit dem Schnabel in die Tränke getaucht werden. Ich bin froh, dass ich nicht da bin, wenn die Hühner dann im Herbst geschlachtet werden ...
Am Sonntag
waren wir morgens im Gottesdienst der Atlantic Community Church in Apohaqui,
einer Baptistengemeinde. Sowohl die Predigt als auch der Lobpreis haben mir gut
gefallen, obwohl ich nur zwei Lieder kannte "The Creed" und "Come to the Altar" zum Abendmahl. Grundlage der Predigt war unter anderem Markus 12, 30-31, was sehr passend war, da das seit Freimuts Neujahrspredigt über meinem Jahr steht.
Im Grunde
hatte ich dann die Nachmittage nach unserem meist recht späten Mittagessen
frei. Ich habe die Zeit dazu genutzt, an meinem Blog zu schreiben, zu lesen,
Klavier zu spielen oder auch einfach nur Luke und Franny zu streicheln.
Letztere ist eine dicke, fellige, rote Katze, die mich wohl recht bequem fand.
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Franny und Sam |
Am Montagnachmittag
holte Derek zwei seiner Gewehre raus. Ich bin ja kein Waffenfreund, aber das
wollte ich doch mal ausprobieren, wenn sich schon die Gelegenheit bot. Mit dem
ersten sollte ich auf eine Blechdose schießen und ich habe es auch geschafft
sie zu treffen, wenn auch nicht immer. Gar nicht so einfach. Mit dem größeren
Kaliber sind wir etwas weiter gefahren, um gegen einen Hang schießen zu können,
wo Derek einen Holzblock aufstellte. Diesmal gab es kein Visier, zielen über Kimme
und Korn also. Auch dabei hab ich mich nicht schlecht angestellt, Derek war
beeindruckt. Zweite Aufgabe war dann 8 Schuss ohne Pause abzufeuern und zu
versuchen, immer die gleiche Stelle zu treffen. Nach 6 Schuss war der Block
unter dem Beschuss umgekippt und wir mussten ihn für die letzten zwei nochmal
neu aufstellen. Beweisfotos oder Videos gibt es nicht, ich hatte nicht dran
gedacht, dafür was mitzunehmen und wir hatten dann auch keine Zeit mehr es zu
wiederholen.
Am Mittwochnachmittag habe ich wie von Derek empfohlen das Quad
genommen und bin durch den Wald zu ihrem Fluss und weiter gefahren. Auf einer
Hügelkuppe habe ich dann geparkt und angefangen das Buch „And God changed His
mind“ über Gebet gelesen, dass ich im Regal gefunden hatte. Im Wald hatte ich
mich nicht so richtig wohl gefühlt, weil es Schwarzbären gibt, die gerade Junge
haben. In der Zeit kommt man ihnen besser nicht in die Quere. Hätte ich
Erfahrung im Umgang mit Waffen, hätte Derek mir auch ein Gewehr mitgegeben,
aber das wollte ich auch lieber nicht.
Insgesamt war
es eine tolle erste Woche. Sowohl mit Janet als auch mit Derek habe ich mich
sehr gut verstanden und gute Gespräche geführt. Ich habe schon einen ersten Eindruck davon bekommen, was es heißt, eine Farm zu haben und wieviel Arbeit das ist. Ich bin beeindruckt von Janet und Derek und sie bekommen von mir einen "Held"-Button. Die Arbeiten haben mir gut
gefallen und die 4 Stunden sind mir immer schnell vergangen. Ich hab mich wohl
und zuhause gefühlt. Einzige Nachteile waren die tierbedingt mangelnde Sauberkeit
und die Kälte im Haus (die eigentliche Heizung ist kaputt und der Holzherd in
der Küche ist nicht mehr an und wenn heizt er auch hauptsächlich die Küche). Das Wetter war durchwachsen und eher kalt. Anfang bis Mitte der Woche schien die Sonne, dann hat es geregnet. Ich hätte auch länger bleiben können, aber eigentlich fand ich die eine Woche genau richtig. Leider habe ich vergessen, rechtzeitig ein Foto mit Janet und Derek zu machen (Derek ist am Donnerstag nach Ontario gefahren). Dafür hier noch ein Foto von einer Seite meines Gästebucheintrages mit einer zeichnerischen Zusammenfassung:
Es gäbe noch so viel mehr zu erzählen, aber ich werde es jetzt dabei belassen :)
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