Mittwoch, 9. August 2017

Wild Roots, Whycocomagh, Cape Breton, 25. Juni - 6. Juli

So ... ich hab mal wieder lange nichts von mir lesen lassen. Mehr als ein Monat Verzug, das könnte Rekord sein ... Es ist doch immer mehr los, als ich denke und dann fehlt mir abends meistens die Motivation mich noch an den Blog zusetzen und in der Vergangenheit zu schwelgen. Die letzten beiden Wochen auf der Mountain Meadow Farm und der Hawthorn Hill Farm waren außerdem arbeitsintensiver als zuvor mit bis zu 6 Stunden Arbeit am Tag. Heute ist mein letzter Abend auf letztgenannter Farm und morgen geht die Reise weiter zur 10. Station, Lee Ann und Larrys Maritime Village Victory Gardens in St. Andrews, und damit zurück nach New Brunswick. Gerade habe ich mich dagegen entschieden diesen Blogpost jetzt noch fertig zu schreiben, denn ich muss noch packen, will den 4. Band von Anne of Green Gables auslesen und Marilyn und Paul noch meine Fotos geben (grad ist es 21.37 Uhr). Aber ihr bekommt jetzt einfach mal vorab, was ich bisher geschrieben hab. Ich werde dann noch weiter ergänzen (siehe Schlagworte) und Fotos hinzufügen (die Upload-Geschwindigkeit hier ist schneckig).



Am 25. ging meine Reise dann weiter vom Nova Scotia Mainland nach Cape Breton Island, durch das Festival einen Tag später als ursprünglich geplant. Als ich Thom, meinem ersten Gastgeber auf Cape Breton fragte, ob es ok sei, wenn ich einen Tag später komme als ursprünglich geplant, weil ich gern zum Full Circle Festival gehen würde, war er nicht nur einverstanden, sondern stellte mir auch eine Mitfahrgelegenheit in Auszeit, da eine Freudin, Adrienne, mit ihrer Tochter auch da sei und mich wahrscheinlich Sonntag oder Montag mitnehmen könnte. Mehr wusste ich nicht, als ich zum Festival fuhr. Ich dachte mir, es könnte ja nicht so schwierig sein, eine junge Frau mit einjähriger Tochter zu finden. Da wusste ich noch nicht, wie viele junge Mütter mit kleinen Kindern auf dem Festival sein würden. Nach ein paar Fehlversuchen (u.a. fragte ich eine Frau, ob sie Adrienne sei, ich würde eine Frau mit einem einjährigen Mädchen suchen und sie antwortete nein und das sei ihr dreijähriger Sohn …) hörten Hana und ich im Vorbeilaufen den Namen Adrienne und Hana konnte auch zuordnen, wer es zu wem gesagt hatte. Also sprach ich die beiden Frauen an und es war wirklich die Adrienne, die ich gesucht hatte. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag und fuhren dann gemeinsam gegen 15 Uhr von Avondale los – ich auf dem Beifahrersitz, ihre Tochter Yarrow (Schafgarbe) auf dem Rücksitz, daneben mein Rucksack. Yarrow verschläft die Fahrt größtenteils. Adrienne und ihr Partner Xavier haben eine kleine Farm und verkaufen auf dem Farmer’s Market in Mabou. Ursprünglich hat sie Kunst studiert.



Die Fahrt zu meiner nächsten Station, Wild Roots at MacQuarrie Brook, zwischen Whycocomagh und Mabou, nahe Brook Village und Lake Ainslie dauert knapp 5 Stunden. Mir fällt mal wieder auf, dass bisher alle Kanadier, mit denen ich mitgefahren bin, nur eine Hand am Steuer haben. 


Thom und Jane, meine Gastgeber, sind nicht zuhause. Ich werde von Janes Eltern und den Kindern Felix (5) und Polly (2) begrüßt. Im Haus leben außerdem die zwei Katzen Dolsie und Merlin, draußen im Hof noch 5 Hühner. 




Mein Zimmer ist einfach und geht nach hinten raus. Muss wohl Osten sein, denn morgens scheint die Sonne rein.


Janes Eltern machen mir etwas Dhal zum Abendessen warm und Felix zeigt mir das Gewächshaus, in dem gerade Erbsen wachsen. Er ist stolz darauf „the bestest farmer“ zu sein. Beim Pflücken und anschließendem Essen werden Kindheitserinnerungen wach, hatten wir doch früher auch immer Erbsen im Garten, die wir als Kinder mitgepflanzt, gegossen und geerntet haben. Hier wird mir besonders bewusst, wie wertvoll es ist, so aufgewachsen zu sein. Das würde ich meinen Kindern auch irgendwann mal gern ermöglichen. Ein Haus (Hof?) mit Garten in einer ländlichen Gemeinde, aber nicht zu weit von Städten … Wie privilegiert wir doch sind, dass wir uns solche Gedanken machen und unser Leben nach unseren Vorstellungen gestalten können. Wo will ich leben, mit wem, was will ich tun? Umso wichtiger, dass wir dieses Privileg gut nutzen und unser Leben und unsere Gaben bestmöglich einsetzen. „Wild Roots“ heißt das im 19. Jahrhundert gebaute Haus, das Thoms Mutter vor ca. 20 Jahren gekauft hat. Sie war Engländerin, Thoms Vater Inder. Das Haus ist zweigeteilt. Es gibt einen Eingang und eine Treppe für die Magd und dann den Haupteingang zum Haupthaus. Zum Haus gehört ein großes Grundstück, auf dem die Familie ihren Garten samt Gewächshaus hat. 


Früher, als Thom hier noch allein, bzw. mit Freunden, wohnte, war der Garten noch größer und es waren schon sehr viele Wwoofer da. Thom arbeitet 80% bei L’Arche, einem Wohnprojekt für Menschen mit Behinderung, in dem auch seine Schwester Mary, die das Downsyndrom hat, lebt. Studiert hat er Friedenswissenschaft oder sowas Ähnliches. Jane arbeitet im Büro des Strathspey Place, einem Veranstaltungssaal in Mabou und managt den dortigen Farmers‘ Market. Sie hat Französisch (und möglicherweise noch was zweites, was ich vergessen habe) studiert.

Meine Aufgaben hier sind Garten und Haushalt. Ab dem 29. vor allem Haushalt, weil mein linkes Handgelenk durch die ungewohnte und inzwischen schon fast 3 Wochen andauernde Überbelastung leider eine beginnende Sehnenscheidenentzündung entwickelt hat und ich deswegen jetzt beide Hände schonen muss, was mir nicht besonders gefällt. Ich habe das Gefühl nicht so nützlich sein zu können, wie ich eigentlich sollte und meinen Teil der Abmachung nicht einhalten zu können. Und es wirft damit die Frage auf „Wie viel bin ich wert, wenn ich nicht nützlich sein und nichts (nur wenig) leisten kann?“. Im Grunde ist es wohl so, dass jeder mal in der Position ist zu geben und mal zu nehmen. So bleiben wir voneinander und von Gott abhängig und bilden, wenn jeder so handelt, eine liebevolle und wertvolle Gemeinschaft. Dieses Gemeinschaftsgefühl und Engagement ist hier in den Maritimes noch sehr stark spürbar. An den ersten beiden Tagen hatte ich noch ein Hugo-Bed (fragt mich nicht, was das genau ist, irgendein aus Holz aufgeschichtetes Hochbeet) auseinandergenommen, weil das Holz nicht zerfallen ist. Ich glaube, das war der Auslöser der Sehnenscheidenentzündung in Kombination mit dem Harken eines Teils des Gartens, um ihn zum Pflanzen vorzubereiten. Draußen habe ich Grün-, Weiß- und Rotkohl gepflanzt, im Gewächshaus Auberginen. 





In zwei Etappen habe ich ca. 13 Kilo Erbsen (snap und snow peas) zum Eigenverzehr und für den Farmers‘ Market in Mabou gepflückt, gewaschen und in 8oz-Beutel verpackt. 


An einem anderen Tag habe ich 1,7kg Rhabarber für die Familie gepflückt, gewaschen, geschnitten und eingefroren. 


Außerdem habe ich am letzten Abend die garlic scapes gepflückt. Falls ihr nicht wisst, was das ist (was wahrscheinlich ist, da ich auch keine Ahnung hatte): es sind die Knospen der Knoblauchpflanzen. Man kann sie kochen und so essen, aber die meisten machen Pesto draus und das ist hier relativ verbreitet. 



Ich habe Hummus und Essen gemacht und 11 Gläser Erdbeermarmelade gekocht. Es gab zwei Rezepte mit umgekehrtem Frucht-Zucker Verhältnis. Die eine Charge ist entsprechend (zu) süß geworden, aber Felix meinte, die Marmelade sei „perfect“. 


Außerdem mache ich es mir nach kurzer Zeit zur Angewohnheit immer zu spülen. Manchmal babysitte ich auch ein wenig, lese vor oder spiele mit der Eisenbahn, wobei beide Kinder (aber vor allem Polly) noch sehr Mama/Papa-bezogen sind und sich nicht zu lange von mir ablenken lassen. Zweimal ist Mittwochabend Fußball für Kinder, ein Ferienprogramm, das Thom und Jane in Mabou anbieten. Hier helfe ich auch ein wenig mit. Meinen Finger und dass Handgelenk schiene ich mit Eisstäbchen, Gummibändern, Verband und einer Bandage, die ich dabei habe und die eigentlich für den Fuß gedacht ist. Nach ein paar Tage fällt Thom auf, dass er ja eine extra Armschiene hat, die ich dann den Rest der Zeit bis zu meiner Abreise tragen darf.


Gehandicapt wie ich bin, habe ich entsprechend viel Freizeit, die ich hauptsächlich in und ums Haus verbringe. Ohne Auto kommt man hier nicht weit. Thom und Jane arbeiten ja beide in Teilzeit und werden, wenn sie zuhause sind, natürlich voll von den Kindern beansprucht. Es ist die einzige Station mit kleinen Kindern auf meiner Liste. Die beiden sind super süß und die meiste Zeit lieb, aber oft auch anstrengend. 


Bei Polly (aka Pi) ist grad alles „No!“ und sie testet Grenzen, Felix (aka Fi) springt beim Essen wild durch die Gegend. Ich bin ehrlich gesagt ganz froh, dass das noch nicht mein Alltag ist und habe nochmal mehr Respekt vor allen Eltern, inklusive meinen eigenen. Morgens werde ich von Fußgetrappel und gelegentlichem Weinen oder Geschrei geweckt, bleibe aber meistens liegen, bis beides verstummt und ich in Ruhe frühstücken kann. Ich will auch nicht zu sehr in die Morgenroutine reinfunken. Ich glaube, die Kinder drehen nochmal mehr auf, wenn ich dabei bin. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind auch so war. Wenn Besuch da war, wollte ich mich immer präsentieren, meistens irgendwie nicht von meiner besten Seite :D Das Familienleben lässt mich noch einmal besser das Bild Gott des Vaters verstehen. Wie oft wir uns wie trotzige Kinder verhalten. Und trotzdem bleibt die Liebe immer gleich und er bietet uns Vergebung an, sobald wir darum bitten. Mit Jane komme ich dadurch, dass ich mir morgens, wenn ich allein bin, immer Worship anmache über den Glauben ins Gespräch. Sie ist „into Jesus“, aber so ganz kann ich nicht rausfinden, was das genau heißt. Es ist schon nicht so einfach, „ernste“ Gespräche zu führen, wenn immer wieder Kinder dazwischen springen … Ich beobachte, wie Jane öfters tief durchatmet und sage ihr, dass sie einen „great job“ macht. Wobei ich in manchen Dingen etwas strenger wäre. Glaube ich jetzt. In der Theorie ist sowas ja immer ganz einfach…

Nach dem Frühstück (bis auf zwei Tage gibt es immer Rührei) mache ich normalerweise vormittags die Arbeit, die ansteht und nachmittags hab ich frei. Meine Zeiteinteilung ist mir überlassen. Thom kocht für die Familie und bereitet immer alles vor, sodass es nur noch aufgewärmt werden muss. Er kocht vor allem indisch und sehr lecker. 


Ein paar besondere Events gab es aber auch in dieser Woche. Montagnachmittag sind zum Mabou Coal Mines Beach gefahren, wo ich zum ersten Mal in Kanada schwimmen war (ich wollte grad „dieses Jahr“ schreiben, aber dann ist mir die DomRep eingefallen :D). Am Strand kamen noch zwei junge Familien dazu. Eine davon hatte ihre Wwooferin Amanda mitgebracht und im Gespräch stellten wir fest, dass sie die Wwooferin ist, die im Juli vor mir auf der Hawthorn Hill Farm in Nova Scotia sein würde.










Dienstagnachmittag sind wir nachmittags in Brook Village im kleinen Convenience Store Eis am Stiel kaufen gefahren. Der Besitzer war vier Jahre (84-88) auf der Militärbasis in Ramstein stationiert. Mir war nicht bewusst, wie viele kanadische Soldaten nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland waren. Ich treffe jedenfalls andauernd welche. Danach gehen wir kurz Schafe gucken und dann auf den Spielplatz, bis uns die Blackflies vertreiben.

Mittwochabend ist Fußball und nach dem Aufbau verbringe ich die meiste Zeit am Weitsprungsand und harke und siebe mit den kleinen Geschwistern der Fußballkinder. 



Freitag ist schon der letzte Junitag und 45 Tage in Kanada sind rum. Abends fährt Jane zum Arbeiten im Strathspey Place, wo eine Filmvorführung von „The Return of the Vanishing Cape Breton Fiddler“ stattfindet. Ich hatte davon in der Lokalzeitung gelesen und frage, ob ich mitkommen kann. Kann ich. Und sie verkauft mir das Ticket für den ermäßigten Preis von 10$. Ich helfe dann ihrer Kollegin Marie beim Aufbau des Kuchenstandes. Der Veranstaltungsraum gehört zu einem Schulkomplex. Neben der National- und Regionalflagge weht hier auch der Regenbogen. Diese Flagge habe ich hier schon so oft gesehen, wie noch nirgendwo sonst. 


 

Der Film startet um 19.30 Uhr. Er wird von Live-Fiddle-Musik und Kommentaren des Regisseurs, Ron MacInnis, begleitet. Leider ist die Tonqualität erstaunlich schlecht und teilweise auch die Bildqualität. So ist das wohl bei lowbudget. Aber die Musik ist gut und das Thema auch kulturell interessant. Es geht um das traditionelle musikalische schottische Erbe von Cape Breton. Und darüber, wie Musik mit Familie und Gemeinschaft verbunden ist: „A family that plays together, stays together.“ Früher waren die wichtigsten Personen im Dorf „the fiddler and the priest“. Vermutlich in dieser Reihenfolge. Ich finde es spannend, wie es hier die Bauern und Fischer waren, die Fiddle spielten. Ihr habt ja wahrscheinlich auch schon meine Geschichte von den 5$-Fiddles gelesen. Es waren vor allem die Arbeiterfamilien, die sich mit dieser Musik vom harten Alltag erholten und lange Winter überstanden. Heute würde ich (zumindest in Deutschland) das Geigespielen eher der Mittel- und Oberschicht zuschreiben. a) ist es teuer und b) wird natürlich auch eine andere Art von Musik (vorwiegend Klassik) gespielt. Ob es in Deutschland wohl früher auch Dorffiedler gab? Ein Musikinstrument zu spielen ist bei uns inzwischen elitär, würde ich meinen. Und eine lebendige Volksmusikkultur gibt es ja auch nicht mehr – mal abgesehen von Bayern vielleicht.

Samstag ist Canada Day, der Nationalfeiertag, mein zweiter in Kanada. Vor 6 Jahren habe ich ihn in Toronto begangen. Heute gibt es das Kontrastprogramm: Canada Day auf dem Land. Ich ehre den Tag mit einem Ziegenfrischkäse-Erdbeer-Toast in kanadischer Flaggenoptik.


Nachmittags fahren wir zum Baseballplatz, wo eine Community Party stattfindet. Es wird Baseball gespielt, Hufeisen geworfen und Hotdogs und Kuchen gegessen. Dazu läuft Country-Musik und die Kinder spielen auf dem Spielplatz, nachdem sie „Happy Birthday Canada“ gesungen haben. Hufeisenwerfen scheint hier ein beliebter Wettbewerb zu sein. Gespielt wird in Zweierteams gegeneinander. In jeder Runde wird versucht, seine zwei Hufeisen möglichst nah an eine Eisenstange, die im Boden steckt, zu werfen. Vom Prinzip her wie Boules.  Der, dessen Hufeisen am nächsten an der Stange liegt, bekommt einen Punkt, wer den Stab trifft ("ringer") bekommt drei Punkte. Ich unterhalte mich hier und da, stehe zwischendurch aber auch einfach viel rum und beobachte. Schon komisch, wie ich den Leuten bei ihrem Leben zuschaue. Für mich ist das ja irgendwie eine Attraktion. Schon auch mein Leben, aber ich bin eben doch eine Außenstehende. Für sie ist das hier der Alltag, den ich so neugierig und manchmal skeptisch betrachte. 



Nachdem ich beim Hufeisenwerfen zugeschaut habe, beschließe ich nach Hause zu laufen, denn mir ist kalt. Es ist bewölkt, aber trocken. Vor 6 Jahren war der 1. Juli ein heißer Sommertag. Ich laufe an der Straße lang und brauche 45 Minuten. Am Straßenrand blühen Butterblumen und lila Wicken. Dazwischen leuchten Erdbeerblätter und –früchte rot auf. Schon lustig, dass auf dem Straßenschild „Centreville“ steht. Das hier könnte wohl kaum weniger centre ville sein. 


Abends zeigt mir Thom noch, was in ihrer Abwesenheit bei den Hühnern zu tun ist. Sie fahren nämlich von Sonntag- bis Dienstagnachmittag ins Cottage von Janes Eltern bei New Glasgow und ich hab sturmfrei. Seit 2 Monaten das erste Mal, dass ich wieder ganz alleine wohne. Darauf freue ich mich schon :) Ich habe hier zum ersten Mal etwas das Gefühl zu stören. Wahrscheinlich einfach, weil es eine komplette Familie ist und die Kinder so viel Zeit beanspruchen und ich da irgendwie nicht reinfunken will. Es ist anders als bei den bisherigen Emptynestern, aber wir verstehen uns trotzdem gut und ich lerne wieder einiges.

Am Sonntag klingelt mein Wecker um kurz vor 8 Uhr. Wenn man aus dem Fenster schaut, würde man nicht darauf kommen, dass heute der 2. Juli ist. Es ist grau und schüttet. Außerdem wird es selbst an sonnigen Tagen abends immer noch so kalt. Weil ich um 10 Uhr in den Gottesdienst gehen will, fahre ich um 8.45 Uhr mit Jane nach Mabou. Als Managerin muss sie früher da sein. Sie lässt mich an der St. Mary’s Church raus und fährt weiter zum Athletic Center, wo der Famrer’s Market stattfindet. Ich werde die Familie dort später treffen. Ich bin die Erste und allein in der Kirche. Tatsächlich stellt sich, während ich warte, heraus, dass die Zeit im Internet nicht stimmte und dass der Gottesdienst erst um 11Uhr anfängt. Naja, nicht so schlimm. Am Eingang stehen Regale mit allerlei Büchern und Heftchen, von denen ich mir ein paar zum Lesen mitnehme. Es ist meine erste katholische Kirche hier in Kanada. Hätte ich die Wahl gehabt, wäre ich nicht in eine katholische Messe gegangen, aber die Kirche war die einzige, die mir bei meiner Recherche angezeigt wurde. Und ich wollte ja auch unterschiedliche Gemeinden kennenlernen. Die Kirche ist vergleichsweise groß und recht gut besucht. Mir gefällt die Gestaltung des Innenraumes: schlicht und modern, ohne Heiligenfiguren. Jesus im Zentrum des Altarbildes mit Agrarmotiven wie Traktor, Mais, Korn, Blüten. Um die Säulen sind schottische Quilts drapiert. 


Die Musik machen zwei Teenager, er an der Orgel, sie singt. Sie hat eine schöne Stimme. Am besten gefällt mir das gälische Lied, das sie während der Kommunion sing, an der ich protestant teilnehme. Ich fühle mich von Jesus eingeladen. Tatsächlich gab es bisher in fast jeder Gemeinde, in der ich war, das Abendmahl. Die Messe ist kurz, nur 50 Minuten, eine richtige Predigt gibt es nicht. Nur eine kurze Andacht mit einer Geschichte über eine Vater-Tochter-Beziehung. Die Liturgie kenne ich aus Grundschulzeiten, aber nicht die englischen Formeln. So identitätsstiftend, haltgebend und damit wertvoll eine strikte Liturgie nach innen sein mag, so grenzt sie damit doch auch irgendwo aus. Zumindest ging es mir so, weil außerdem auch die meisten Lieder nicht angesagt wurden und ich deswegen nicht mitkam und selten mitsingen konnte. Vielleicht sind sie hier einfach nicht so auf Neue/Fremde ausgerichtet. Ohne das verallgemeinern zu wollen ist es die erste, wo mich niemand anspricht (abgesehen von Marie, die ich aber ja schon vom Strathspey Place kannte). Eigentlich müsste ja jeden auffallen, dass ich noch nie da war. Das war zumindest in allen anderen Kirchen in denen ich bisher allein war anders. Die waren zugegeben auch kleiner, aber dort wurde ich immer sehr nett angesprochen und begrüßt, teilweise sogar nochmal offiziell vorne von der Kanzel. Ich muss mich während der Messe konzentrieren, um nicht abgelenkt zu werden und denke an das Buch „Anweisung an einen Unterteufel“ (wer’s nicht kennt: Leseempfehlung ;) ). Der Priester war zu leise und damit schlecht zu verstehen, hinter mir zog ein Mann immer wieder laut die Nase hoch und vor mir plapperte ein Kleinkind. Gar nicht so leicht, da fokussiert zu bleiben und sich nicht aufzuregen. Beim letzten Lied „How great thou art“ (das ich glaube ich aus der Hillsong kenne) fangen die beiden Damen vor mir an zu tuscheln und klappen in der letzten Strophe die Kniebank hoch, als würden sie auf das Ende wie auf einen Startschuss warten, dass sie endlich rauskommen. Im selben Moment, in dem ich anfange, mich darüber aufzuregen, dass sie das tun, während sie noch halbherzig die letzte Zeile des Refrains mitsingen und mir denke, wie unpassend das doch ist, muss ich mir auch schon an die eigene Nase packen und demütig erkennen, dass es nicht besser ist, sich beim Singen dieses Liedes darüber aufzuregen und diese beiden Frauen dafür zu verurteilen, dass sie das Lied nicht mit voller Aufmerksamkeit und der gebotenen Andacht zu singen. Meine Gedanken sind nämlich in dem Moment genauso wenig beim Lied und bei Gott, wie ihre. 

Gegen 12 Uhr laufe ich dann zum Farmer’s Marker. Der Regen hat aufgehört und die Sonne blitzt zwischen den Wolken hervor, sodass es leicht schwül ist. Ich laufe einmal außen an allen Ständen vorbei um eine Übersicht (vor allem über das (vegetarische) Essensangebot zu bekommen). Der erste Gang des Mittagsessens wird dann ein Probeteller von den Gratiskuchen anlässlich des zehnjährigen Marktjubiläums. Damit bleibe ich dann bei Terron stehen, einem älteren, bärtigen Mann im Rollstuhl, der selbstgeschnitzte Holzlöffel verkauft und so viel zu erzählen hat, dass ich mich kaum loseisen kann. Er hat Botanik studiert, aber auch in einem Antiquariat gearbeitet und wir unterhalten uns auch über Sprachen und Linguistik. Er bringt ein paar Brocken Deutsch zusammen, auf die ich ganz automatisch auf Deutsch reagiere. Danach besuche ich Adrienne an ihrem Stand. Als ich weiterlaufe, höre ich plötzlich Deutsch "Wir brauchen noch Eier, Stefan." In der Zwischenzeit ist das vegetarische Essensangebot leider knapp geworden. Die Veggie-Samosas, die von einem pakistanischen Ehepaar verkauft werden, die 25 Jahre in Stuttgart gelebt haben, sind ausverkauft, genauso die Bretzeln am deutschen Bäckerei-Stand von Martin und Gabi, ebenfalls aus der Nähe von Stuttgart. Dafür kaufe ich bei ihnen dann die vegane Wassermelonensuppe mit Brötchen und ein Stück Schokobuttercremetorte, die mich an die Kuchen meiner Oma Marga erinnert. Damit setze ich mich an einen der Tische und höre der Musik von Ian McDouglas, der Eddie Vedder in Aussehen, Stimme und Stil ähnelt. Leider hören nur wenige Leute wirklich zu. Aus diesem Grund bin ich auch kein großer Fan von Live-Hintergrundmusik. Ich finde, Livemusik verdient Aufmerksamkeit (Überraschung :D). Die Schokopralinen gab's am Stand der
Hadhan Syrian Chocolates for Peace, der einer der kanadischen Vorzeige-Flüchtlingsfamilien gehört.



Gegen 14.30 Uhr fahren wir zurück und ca. eine Stunde später fährt die Familie ab nach New Glasgow. Sturmfrei :). Abends laufe ich auf den Hügel hinterm Haus, von wo man wirklich eine schöne Aussicht hat, aber auch nach kurzer Zeit von Blackflies umkreist wird. Danach schließe ich die fünf in meiner Obhut belassenen Hühner ein, die sich bei Sonnenuntergang schon von selbst in ihr Haus begeben haben. Außerdem versorge ich die zwei Katzen. Dolsie sitzt vor der Tür und maunzt. Sie hat eine Maus mitgebracht. Zum Glück hat mich Thom vorgewarnt, sie dann nicht reinzulassen. Letzt hat sie wohl eine Maus mitgebracht, die noch nicht tot war und weggerannt ist und sich irgendwo unauffindbar im Haus versteckt hat, vermutlich, um dort zu sterben. Diesmal frisst Dolsie die Maus aber, als ich die Tür nicht aufmache. Am nächsten morgen finde ich nur noch Blutflecken und irgendein Organ, das sie wohl nicht mag. Und nachmittags bringt sie eine Spitzmaus. Ich versuche vergeblich, sie dazu zu bringen, die auch aufzufressen. Aber irgendwie will sie das diesmal nicht. Find ich nicht gut. Wenn schon töten, dann auch fressen. Leider wirkt meine erzieherische Maßnahme nicht, ihnen kein Futter zu geben, bis die Maus gefressen ist.  Irgendwann knicke ich ein und sie kriegen trotzdem ihr Trockenfutter.

Memento mori Maus

Am nächsten Morgen klingelt mein Wecker um 4:45 Uhr, weil ich den Sonnenaufgang sehen wollte. Beim Blick nach draußen sieht der aber nicht sonderlich spektakulär aus, weshalb ich weiterschlafe, bis ich um 6 Uhr im Halbschlaf die Hühner rauslasse und danach wieder ins Bett geh. Als ich das nächste Mal aufwache, strahlt die Sonne. Heute kann man glauben, dass es Anfang Juli ist. Ich wasche Wäsche, ernte den Rhabarber und befreie drei Schmetterlinge (Schwalbenschwänze), die nicht mehr aus dem Gewächshaus rausfinden, wenn sie einmal reingeflogen sind. Sie sind so erschöpft, dass sie erstmal auf mir sitzenbleiben, nachdem ich sie eingefangen habe.

 
















Ich setze mich dann raus in den mit Moskitonetzrahmen geschützten Pavillon. Hier ist man vor Blackflies etc. sicher. Dafür versuchen kleine gelbe Spinnen an mir ihre Netze zu spinnen, während ich meinen Blog schreibe und lese.
Am nächsten Morgen klingelt mein Wecker wieder um 4.45 Uhr und diesmal stehe ich auch auf und laufe den Hügel rauf zum Waldrand, eingepackt in die stichsichere Trekkinghose und mein Softshell. Es ist schon fast hell und ich werde von Mücken umschwärmt. Hätte ich mal noch den Bughat angezogen. Ich denke zuerst, ich habe das Farbenspiel vielleicht schon verpasst, aber es kommt noch. Auf dem Rückweg pflücke ich Erdbeeren und lasse die Hühner raus. Ich frühstücke und mache meine Stille Zeit. Als ich auf dem Sofa sitze, kommt Dolsie kuscheln. Ich glaube, ich verstehe langsam, warum Leute Katzen und Hunde haben. Allerdings habe ich auch mal gegengerechnet, was ein Hund so im Jahr kostet. Man könnte stattdessen auch drei Kinder in Entwicklungsländern sponsern.











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